Efringen-Kirchen, Pressekonferenz, Staatsanwaltschaft, Landeskriminalamt, Polizei, © baden.fm

Soko ermittelt wegen versuchten Mordes gegen mutmaßlichen „Reichsbürger“

Der 61-Jährige soll am Montagabend einen Polizisten bei einer Verkehrskontrolle umgefahren haben

Der betrunkene Verdächtige, der am Montagabend (07.02.2022) bei einer Verkehrskontrolle in Efringen-Kirchen einen Polizisten absichtlich umgefahren haben soll, steht nach ersten Erkenntnissen von Landeskriminalamt und Staatsanwaltschaft der so genannten Reichsbürger-Szene nahe.

Bei einer Hausdurchsuchung bei dem Verdächtigen haben die Einsatzkräfte bereits an der Haustür einen entsprechenden Flyer gefunden, der aus ihrer Sicht einen eindeutigen Hinweis auf eine mögliche Gewaltbereitschaft gegen Staatsbedienstete liefert. Allein die milderen Formulierungen darauf, wie "Schlagt ihre Buden mit Abrissbirnen ein, zermalmt ihre Dienstfahrzeuge" bezeichnet Polizeipräsident Franz Semling als menschenverachtend.

Tomas Orschitt (Leiter Staatsanwaltschaft Lörrach): "Nach derzeitigem Erkenntnisstand besteht keine Lebensgefahr mehr"

In der Wohnung haben die Polizisten zwar keine Schusswaffen, aber mehrere verbotene Gegenstände sichergestellt, darunter eine Armbrust, für deren Besitz der Mann keine Berechtigung gehabt haben soll. Das bestätigt bei der Pressekonferenz am Mittwoch (09.02.2022) der Leiter der zuständigen Staatsanwaltschafts-Zweigstelle Lörrach Tomas Orschitt.

Spezialisten der Spurensicherung haben vor Ort zudem mehrere Datenträger und andere Gegenstände sichergestellt, die auf eine starke Nähe zur Reichsbürger-Szene hinwiesen. Diese müssen nun aber erst noch im Detail ausgewertet werden.

Sonderkommission prüft, ob möglicherweise ein politisches Motiv hinter der Tat steckt

Die Ermittler haben inzwischen eine 21-köpfige Sonderkommission am Freiburger Polizeipräsidium eingerichtet. Diese ermittelt wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes zur Verdeckung einer Straftat. Damit ist sowohl ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr gemeint, wie auch eine vorausgegangene Trunkenheitsfahrt, die die Polizisten dem 61-Jährigen vorwirft. Ein Atemalkoholtest ergab nach seiner Festnahme einen Wert von rund 1,4 Promille.

Andreas Stenger (Präsident Landeskriminalamt): "Das Thema Gewalt an Polizeibeamten nach den Ereignissen von Kusel treibt uns natürlich besonders um"

Darüber hinaus muss noch geprüft werden, ob zusätzlich die Staatsanwaltschaft in Karlsruhe mit ihrem Schwerpunkt für Staatsschutz eingeschaltet wird. Bislang lässt sich für die Einsatzkräfte noch nicht genau sagen, ob zwischen der mutmaßlich demokratiefeindlichen Gesinnung des Mannes und dem ihm vorgeworfenen Gewaltverbrechen tatsächlich ein direkter Zusammenhang besteht und der Verdächtige sein Opfer wirklich gezielt angefahren hat oder nicht.

Über den Tatverdächtigen ist ansonsten bislang bekannt, dass er deutscher Staatsbürger ist und auch aus dem Kreis Lörrach kommt. Wegen mehrerer Vergehen wie Ordnungswidrigkeiten, Beleidigung im politischen Kontext und räuberischen Diebstahls war er der Polizei schon in der ersten Jahreshälfte 2021 aufgefallen. Dabei ging es etwa um das Verweigern eines Mund-Nasen-Schutzes. In diesem Zusammenhang soll es zu einer Beleidigung bekommen sein, wegen der ein Gericht ihn bereits zu einer Geldstrafe verurteilt hat. Mit dem anderen Vorwurf des räuberischen Diebstahls beschäftigt sich aktuell noch ein Amtsgericht in der Region.

In Untersuchungshaft schweigt der Mann zu den aktuellen Vorwürfen des versuchten Mordes und lässt sich von einem Pflichtverteidiger vertreten. Ob der Mann nicht nur Kontakte zu den so genannten Reichsbürgern, sondern auch zur Szene der Corona-Maßnahmen-Gegner unterhält, ist aktuell noch Gegenstand der Ermittlungen.

Weitere Hasskommentare im Internet sollen nicht ohne Konsequenzen bleiben

Im Internet wurden dem Landeskriminalamt nach der Berichterstattung über den Vorfall aus Efringen-Kirchen bereits weitere Mord- und Gewalt-Fantasien gegen Polizisten bekannt. LKA-Präsident Andreas Stenger kündigt gegen die Urheber solcher Beiträge in den sozialen Netzwerken und Chatgruppen ein hartes Vorgehen an. Verfasser entsprechender Hasskommentare sollten nicht auf die Anonymität des Internets vertrauen und müssten sich stattdessen dafür verantworten.

Franz Semling (Polizeipräsident Freiburg): "Wir wollen Freund und Helfer sein und wir werden von ganz vielen Menschen auch als Freund und Helfer wahrgenommen, aber nicht von allen."

"Polizeibeamte stellen sich Tag und Nacht, über 365 Tage im Jahr, zur Verfügung, um Sicherheit zu gewährleisten und die Freiheit von uns allen zu verteidigen", betont Freiburgs Polizeipräsident Semling. Dass dieser Dienst auch Risiken birgt, wissen dabei grundsätzlich alle. Bei dem dramatischen Fall aus Efringen-Kirchen handele es sich aber auch für das Polizeipräsidium Freiburg keineswegs um einen alltäglichen Sachverhalt. Er ruft vor dem Hintergrund des Verbrechens die Gesellschaft noch einmal ausdrücklich zum Rückhalt für die Polizei auf, die in erster Linie immer für die Menschen in der Region unterwegs ist.

Dramatische Verfolgungsjagd gipfelt in Dienstwaffengebrauch der Polizeibeamten

Der Autofahrer war einer Streifenwagenbesatzung am Montagabend wegen überhöhter Geschwindigkeit aufgefallen und sollte daraufhin kontrolliert werden. Doch anstatt anzuhalten, soll der 61-Jährige einfach Gas gegeben haben und geflüchtet sein.

Auf Höhe der B3 gelang es den Beamten schließlich ihn vorübergehend zu stoppen. Durch eine geöffnete Scheibe haben sie dabei Alkoholgeruch bemerkt, woraufhin der Mann erneut davongerast sein soll. Mit Hilfe von weiteren Einsatzkräften zwangen die Polizisten den Mann ein weiteres Mal zum Anhalten. Ein 39-jähriger Polizist soll dabei zu Fuß auf das Fahrzeug zugegangen sein.

Dabei startete der Fahrer wohl erneut den Motor und fuhr ihn scheinbar gezielt und mit hoher Geschwindigkeit um, glauben die Ermittler. Der Beamte wurde frontal erfasst und blieb mit schweren Kopfverletzungen auf der Fahrbahn liegen. Daraufhin griffen seine Kollegen zur Dienstwaffe und feuerten mehrere Schüsse auf den mutmaßlichen Angreifer ab. Zwei Kugeln trafen ihn am Arm, und mussten später ambulant versorgt werden, als ein Großaufgebot ihn schließlich nach einer weiteren Verfolgung überwältigen konnte.

Inzwischen ist der Zustand des verletzten Polizeibeamten stabil, er schwebte nach Angaben von Polizeipräsident Semling auch nicht in Lebensgefahr. Die Zeichen stehen nach bisherigem Stand gut, dass der 39-Jährige wieder vollständig genesen kann. Wie in einem solchen Fall üblich, muss auch der erfolgte Schusswaffeneinsatz seiner Kollegen in den kommenden Wochen genau überprüft werden, kündigen die Ermittler an.

Rund 3.300 bekannte Anhänger der Szene im Südwesten

Bei den so genannten "Reichsbürgern" handelt es sich um einen Sammelbegriff für völlig verschiedene Gruppen von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen die Bundesrepublik Deutschland und ihre Rechtsorgane ablehnen oder ihre Legitimität bestreiten. In vielen Fällen besteht ein enger Zusammenhang zu Verschwörungserzählungen.

Der Verfassungsschutz behält wegen einer grundsätzlichen Gewaltbereitschaft einiger Mitglieder die Szene seit einiger Zeit gesondert im Auge. In Baden-Württemberg gehören der Szene schätzungsweise etwa 3.300 Menschen an, bei den meisten von ihnen handelt es sich um Einzelpersonen oder heterogen organisierte Kleinstgruppen. Im Bereich des Polizeipräsidiums Freiburg gehen die Einsatzkräfte von rund 400 Mitgliedern aus.

(fw)