Erdbeben, Seismogramm, Erschütterung, © Martin Gerten - dpa

Simulation soll Auswirkungen schweren Erdbebens in Baden-Württemberg zeigen

Ergebnisse sollen bundesweit beim Umgang mit Katastrophenszenarien helfen

Im Oktober 2024 wird ein Erdbeben in zehn Kilometern Tiefe und mit einer Stärke von 6,9 das Rhein-Neckar-Gebiet zwischen Heidelberg und Karlsruhe erschüttern - so zumindest ein Katastrophenszenario. Ausgedacht hat sich das der Landeserdbebendienst Baden-Württemberg. Das Szenario soll im Herbst durchgespielt werden - als Übung für den Ernstfall.

Die fiktive Stärke entspricht den aktuellen Schätzungen für die Intensität des Erdbebens bei Basel im Jahr 1356 - ist also für das häufiger von Erdbeben heimgesuchte Oberrheingebiet nicht gänzlich unvorstellbar. Im Szenario, das vom 24. bis zum 26. Oktober simuliert wird, soll das Erdbeben weitreichende Folgen haben. Baden-Württemberg hatte sich im Frühjahr 2023 für die Großübung des Europäischen Katastrophenschutzes beworben - und den Zuschlag erhalten. Beteiligt daran sind auch Griechenland, Österreich und die Schweiz.

Stefan Stange vom Regierugnspräsidium Freiburg misst Erdbeben

Es ist wohl kein Zufall, dass der Südwesten ausgewählt wurde, das Bundesland ist das seismisch aktivste Gebiet in Deutschland - ein Hotspot. "Wir haben vor allen Dingen zwei Gebiete mit hoher Seismizität. Das ist einmal das Zollernalbgebiet und das Gebiet am südlichen Oberrhein, also etwa von Freiburg nach Süden bis Basel. Dann gibt es auch noch etliche Erdbeben im Bodenseeraum und Oberschwaben. Allerdings eben nicht ganz so intensiv wie zum Beispiel im Zollernalbgebiet", sagt Stefan Stange, Leiter des Landeserdbebendienstes Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Freiburg. Für die fiktiven Auswirkungen ist das Innenministerium in Stuttgart zuständig.

Simuliert werden laut dem Innenministerium Gebäudeschäden wie Einstürze, Risse und Beschädigungen von Infrastrukturen wie Straßen, Brücken und Versorgungsleitungen. Bei der Anreise von Hilfsteams müssen dabei alternative Routen geplant werden. Um Zugang zu Gebäuden zu schaffen, müssen schwere Gebäudeteile bewegt werden.

Die Ergebnisse der Übung sollen allen helfen

Zudem würden Verletzte dargestellt, die medizinische Versorgung benötigten, sowie Todesopfer, um die Koordination von Rettungs- und Bergeeinheiten sowie medizinischen Einsatzkräften zu üben. "In Zusammenarbeit mit der Polizei wird dann vor allem der Aspekt Identifikation von Todesopfern geübt", sagt der Sprecher des Innenministeriums weiter. Daneben spielen bei der Übung Evakuierungen, Nachbeben und die psychosoziale Unterstützung von Menschen eine Rolle. Bewertet werde die Übung im Jahr 2025. Die Ergebnisse sollen den anderen Ländern und dem Bund zur Verfügung gestellt werden. Das Projektvolumen liege bei 1,36 Millionen Euro und werde von der Europäischen Kommission mit 85 Prozent kofinanziert.

Das stärkste registrierte Erdbeben in Baden-Württemberg trat laut Stange auf der sogenannten Albstadtscherzone im Jahr 1911 auf, mit einer Stärke von etwa 5,9. Etwas schwächer fiel ein Beben unter anderem im Jahr 1978 mit einer Stärke von 5,7 aus. Am Oberrheingraben wackelte zuletzt 2004 die Erde bei Waldkirch mit einer Stärke von 5,4. Das stärkste überlieferte Erdbeben im Dreiländereck trat 1356 bei Basel auf. Die Stärke wurde auf etwa bis zu 6,9 geschätzt. Eben von dieser Stärke geht die Übung im Oktober im Rhein-Neckar-Gebiet aus. Damals blieb kein Gebäude verschont.

"Starke Erdbeben mit katastrophalen Auswirkungen sind in Baden-Württemberg zwar sehr selten, aber nicht ausgeschlossen.

Gemessen werden die Erschütterungen an Dutzenden Messstationen im Land. 25 auf dem Fundament verschraubte Starkbebenstationen eines schweizerischen Herstellers gibt es und noch einmal rund 25 Erdbebenmessstationen hergestellt in Baden-Württemberg und unter anderem in Kanada, die selbst kleinste Beben messen können. "Die dürfen nicht in der Nähe einer Straße, einer Bahnlinie, einer Industrieanlage oder sonst irgendwas stehen, sondern möglichst weit weg, weil sie sonst keine kleinen Erdbeben aufzeichnen könnten", erzählt Stange. Außerdem gibt es noch Stationen anderer Betreiber aus der Schweiz und aus Frankreich etwa. Alle Daten aber landen im Landesamt in Freiburg und werden dort ausgewertet. Eine Messstation sieht laut Stange "spektakulär unspektakulär" aus. Die Seismometer - dick unter anderem in Styropor eingepackte Technik - stehen unscheinbar schuhschachtelgroß auf dem Boden.

"Starke Erdbeben mit katastrophalen Auswirkungen sind in Baden-Württemberg zwar sehr selten, aber nicht ausgeschlossen", erklärt Stange. Erdbeben lassen sich aber nicht vorhersagen. "Deshalb müssen wir uns auf die Erdbebenvorsorge konzentrieren. Und dazu müssen wir natürlich möglichst genau wissen, was passiert." Die Erkenntnisse fließen beispielsweise in die Erdbebenbauvorschriften ein. "In Baden-Württemberg gibt es die Vorschrift, dass man Häuser in den erdbebengefährdeten Gebieten, also insbesondere auf der Zollernalb und im Landkreis Lörrach, etwas stärker bauen muss. "Das kostet dann ein bisschen mehr, aber es geht eben darum, dass auch da niemand zu Schaden kommt", sagt Stange. Und dazu brauche es eine möglichst gute Registrierung von Erdbeben.

Hinweise aus der Bevölkerung besonders wichtig

Wenn die Erde im Südwesten bebt, sind Experten auf Beobachtungen von Bürgerinnen und Bürgern angewiesen. "Die Auswirkungen eines Erdbebens erfahren wir nur durch Meldungen aus der Bevölkerung", sagt Stange. Auf der Webseite des Dienstes gebe es ein Onlineformular. Stange sagt, nach dem Beben im schweizerisch-französischen Grenzgebiet im September des Jahres 2022 seien beim Landeserdbebendienst innerhalb weniger Tage rund 7000 Meldungen eingegangen. Damals wurde ein Stoß der Stärke 4,6 registriert, das Epizentrum lag südlich von Mulhouse (Mülhausen) im Elsass. Größere Schäden wurden damals nicht gemeldet. Das Beben wirkte sich auch im südbadischen Raum aus.

(dpa/br)