Missbrauch, Prozess, Staufen, Urteil, © Patrick Seeger - dpa

Gerichte und Behörden ziehen Konsequenzen aus Staufener Missbrauchsfall

Eine erste Aufarbeitung des Falls ist abgeschlossen

Im Missbrauchsfall von Staufen ist eine erste Aufarbeitung möglicher Behördenversäumnisse abgeschlossen. Eine Arbeitsgruppe des Oberlandesgerichts Karlsruhe, des Amtsgerichts Freiburg und des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald hat heute Vorschläge für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Justiz und Behörden gemacht.

Für die Zukunft hat die gemeinsame Arbeitsgruppe einen besseren Informationsaustausch und konkrete Absprachen zwischen Gericht und Jugendamt empfohlen. Die Arbeitsgruppe hat den Informationsfluss zwischen Jugendamt und den beteiligten Gerichten sowie die Verabreitung von Informationen anderer Stellen im Staufener Fall analsysiert. Dabei wurde festgestellt, dass von verschiedenen Stellen vorhandene Informationen nicht frühestmöglich weitergegeben und nicht alle Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft wurden. Die Auflagen der Familiengerichte an die Mutter wurden nicht kontrolliert.

So reagieren Jugendamt und Gerichte auf die Vorwürfe im Staufener Missbrauchsfall

Für die Zukunft gibt die Arbeitsgruppe deshalb folgende Empfehlungen:

1. Besserer Informationsaustausch

Polizei, Staatsanwaltschaft, Landgericht und Bewährungshilfe sollen die Jugendämter künftig frühzeitig informieren, wenn ein Sexualstraftäter in seinem Umfeld wiederholt Kontakt zu Minderjährigen hat, die als mögliche Missbrauchsopfer in Betracht kommen. Das Jugendamt wiederum soll seine Einschätzungen und Erkenntnisse unverzüglich an die Gerichte weitergeben.

Die Verwaltungsvorschrift KURS (Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern ) soll geändert werden, damit eine frühzeitige Einbeziehung des Jugendamtes möglich wird.

Das Jugendamt soll seine fachlichen Einschätzungen, Unterlagen und Erkenntnisse unverzüglich weitergeben, damit das Gericht diese Informationen verarbeiten, bewerten und an die übrigen Verfahrensbeteiligten weiterleiten und zum Gegenstand weiterer eigener Ermittungen machen kann.

Wird auf die Bestellung eines Verfahrensbeistands und die Anhörung des betroffenen Kindes im Einzelfall verzichtet, sollen die Gründe dafür dokumentiert werden.

Gefährdet ein konkreter Dritter das Kindeswohl, so soll dessen Anhörung und Beteiligung am Verfahren überlegt werden. Die Gerichte sollen auch die Anhörung weiterer Personen prüfen, die zur Einschätzung einer möglichen Kindeswohlgefährdung beitragen können.

Die kompletten Statements von Jugendamt und Oberlandesgericht Karlsruhe zum jahrelangen Missbrauch eines Kindes in Staufen

2. Bessere Kontrollen

Entzieht das Familiengericht trotz einer festgestellten Kindeswohlgefährdung das Sorgerecht nicht und beschränkt sich auf mildere Maßnahmen, so muss kontrolliert werden, ob die Gebote und Verbote zum Schutz des Kindeswohls von den Eltern auch eingehalten werden.

Die Gerichte sollen mit den Eltern und dem Jugendamt frühzeitig verbindlich absprechen, von wem, wann und wie die Einhaltung der Maßnahmen überprüft wird.

3. Bessere Zusammenarbeit

Gerichtsverfahren zu Kindesmissbrauch und familiengerichtliche Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung sollten beim Jugendamt durch Teams begleitet werden, die aus sozialpädagogischen Fachkräften und hauseigenen Juristen bestehen. Die rechtliche Position des Jugendamtes soll damit vor Gericht gestärkt werden.

 

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Das Opfer, ein heute zehn Jahre alter Junge aus Staufen, war mehr als zwei Jahre von seiner Mutter und ihrem Lebensgefährten vergewaltigt und an andere Männer verkauft worden. Fehlende Kommunikation zwischen staatlichen Stellen hatte dazu geführt, dass das Leid des Kindes lange unentdeckt blieb.

Direkt nach der Vorstellung des Berichtes gründet sich die längst geplante Interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) aus Sozial-, Justiz- und Innenministerium. Auch externe Experten sollen hinzugezogen werden. "Uns geht es darum, mithilfe der Handlungsempfehlungen in dem Bericht landesweit zu schauen: Was kann man ändern, an welchen Stellschrauben muss man drehen?", sagte ein Sprecher des federführenden Sozialministeriums. Wann die IMA erste Ergebnisse vorlegen wird, ist noch unklar.

Kritik an Justiz und Behörden 

Im Zusammenhang mit dem Fall hatte es viel Kritik am Vorgehen der beteiligten Behörden gegeben. Das inzwischen verurteilte Paar, das in Staufen bei Freiburg wohnte, stand zwar unter Beobachtung. Frühe Warnungen waren aber nicht beachtet worden oder zu spät oder gar nicht zu den zuständigen Stellen durchgedrungen. Hinweise der Schule auf einen möglichen sexuellen Missbrauch des Jungen wurden als zu vage eingestuft.

Ein Annäherungsverbot des einschlägig vorbestraften Lebensgefährten an Kinder wurde nicht überwacht. Dass der Mann und die Mutter zusammenziehen wollten, lehnte das Landgericht Freiburg im August 2016 zwar ab. Der 39-Jährige lebte aber dennoch, trotz mehrerer Hinweise seiner Bewährungshelferin an das Gericht, monatelang unter einem Dach mit dem Kind, das den Übergriffen damit endgültig schutzlos ausgeliefert war.

Erst ein halbes Jahr nach den Hinweisen wurden der Wohnsitz des Mannes überprüft und der Junge in Obhut genommen. Einen Monat später wurde er wieder zurück zu seinen Peinigern geschickt. Vor Gericht war er nicht angehört worden, einen eigenen Rechtsbeistand hatte er nicht bekommen. Stattdessen glaubten die Richter den Beteuerungen der Mutter, ihr Kind zu schützen.

Politik fordert Konsequenzen

Der Fall hatte für Entsetzen gesorgt, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte eine umfassende Aufarbeitung angekündigt. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hatte von offensichtlichen strukturellen Problemen gesprochen und unter anderem eine gesetzliche Fortbildungspflicht für Familienrichter angeregt. Aus den Versäumnissen müssten bundesweit Lehren gezogen werden.

(rg)