Wikipedia, Internet, Enzyklopädie, © dpa (Symbolbild)

Warum die deutsche Wikipedia-Seite einen ganzen Tag lang offline bleibt

Hintergrund ist nicht etwa ein Cyberangriff, sondern eine Protestaktion gegen eine bevorstehende Entscheidung der EU

Etliche Schüler dürften mit Blick auf ihre Hausaufgaben am Donnerstag (21.03.2019) erst einmal verzweifeln. Und auch, wer nur kurz einen Namen oder einen Begriff nachschlagen möchte, muss bis Freitag erst einmal wieder auf die klassische, gedruckte Enzyklopädie ausweichen. Wer heute das Online-Nachschlagewerk Wikipedia im Netz aufrufen möchte, landet automatisch auf einer schwarzen Seite mit einem Text, der mit folgenden Worten beginnt:

Dies ist unsere letzte Chance. Helfen Sie uns, das Urheberrecht in Europa zu modernisieren.

Damit wird schnell klar: Hinter der vorübergehenden Abschaltung stecken nicht etwa Cyberattacken auf Wikipedia oder Serverprobleme, sondern es handelt sich um eine bewusste Protestaktion vor einer anstehenden Entscheidung im EU-Parlament am 27. März 2019. Dort planen die Abgeordneten nach bisherigem Stand, eine umstrittene Reform des europäischen Urheberrechts zu verabschieden. Gegen die beiden neuen Artikel 11 und 13 formiert sich seit Wochen allerdings heftiger Protest von Internetnutzern, Wirtschaftsverbänden oder auch Menschenrechtsorganisationen und der Kreativbranche.

Uploadfilter: Einschränkung von Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit befürchtet

Sie befürchten, dass die Gesetzesänderung am eigentlichen Ziel vorbeiführen könnte und das freie Internet einschränken wird. Nicht nur große Internetriesen wie YouTube, Facebook, Google und Co., sondern auch kleinere Webseitenbetreiber müssten dann mögliche Urheberrechtsverletzungen verhindern, bevor sie überhaupt passieren.

Für viele klingt das auch nachvollziehbar. Ein Problem sehen die Aktivisten, zu denen nun auch die Wikipedia-Betreiber gehören, allerdings in der Art und Weise: Um zu kontrollieren, was vielleicht vorher schon einmal jemand anderes hochgeladen hat, bräuchte es automatische Upload-Filter - sprich: Eine Software, die über komplexe Algorithmen erkennen soll, was ein urheberrechtlich relevanter Beitrag ist und was nicht.

Ob diese Technologie zuverlässig funktioniert oder Fehler macht und wie sie mit Satire, Kommentaren und anderen kritischen Inhalten umgeht, lässt sich bislang kaum nachvollziehen, so die Kritik. Gemeinnützige Seiten wie Wikipedia sollen davon zwar ausgenommen werden, wie diese Einstufung allerdings in der Umsetzung funktioniert, ist ebenfalls noch nicht restlos geklärt.

Artikel 11 und Artikel 13 des neuen EU-Urheberrechts in der Kritik

Darüber hinaus wehren sich die Unterstützer gegen ein neues Verlegerrecht: Dieses sieht vor, dass Suchmaschinen wie Google den Verlagen künftig Gebühren zahlen müssen, wenn sie weiterhin ihre Artikel auf ihren eigenen News-Seiten einbinden wollen. Das könnte ungewollt aber dazu führen, dass die Anbieter sich daraufhin stattdessen einfach von den allermeisten Fremdinhalten auf ihren Seiten trennen.

Aus Sicht der International Federation of Journalists hätte das massive Auswirkungen gerade auf kleinere Medienhäuser, die auf die Reichweiten über die Nachrichtensuchen angewiesen sind. Umgekehrt müssten kleinere Webseitenbetreiber ebenfalls erst einmal Lizenzen bei den großen Verlagen erwerben. Profitieren werden fast ausschließlich die großen Konzerne, so der Tenor unter den kritischen Stimmen.

Parlament will Ausnahmen einführen und Beschwerdestelle einrichten

Am kommenden Samstag (23.03.2019) sind in ganz Europa deshalb größere Protestaktionen geplant. Auch in Freiburg wollen vielen Menschen ab 14:30 Uhr auf die Straße gehen, um gegen die Anpassung des EU-Urheberrechts in der geplanten Form mobil zu machen. Aus Sicht vieler EU-Abgeordneten ist die große Aufregung hingegen unbegründet.

In Deutschland ist vor allem der rheinländische CDU-Abgeordnete Axel Voss aus der EVP-Fraktion in der Debatte wortführend. Er betont, dass alle gängigen Funktionen des freien Internets auch weiterhin verfügbar sein sollen. Umsetzen will er das auf europäischer Ebene über Ausnahmen, wie sie auch für Wikipedia gelten sollen.

Im Zweifelsfall sehe die Planung außerdem einen Beschwerdemechanismus vor, so Voss kürzlich in einem Interview. Den Protest, so heißt dort weiter, sieht er auch durch große Onlineplattformen zusätzlich angeheizt und vermutet teilweise auch den Einsatz von Bots hinter den Protestwellen im Internet.

Sollte das EU-Parlament sich mehrheitlich für die neuen Artikel 11 und 13 aussprechen, bleibt außerdem noch die Frage der Umsetzung. Die Große Koalition in Berlin hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass es mit ihr keine Uploadfilter im Internet geben werde. Sollten diese tatsächlich von europäischer Seite kommen, will die Union sich ihnen verweigern, hieß es zuletzt in einer Ankündigung. Die Machbarkeit stufen Politikwissenschaftler hier aber als zweifelhaft ein.

(fw)