Winfried Kretschmann, Ministerpräsident, Landtag, © dpa

Südbadische Oberbürgermeister rügen Landesregierung in gemeinsamem Brief

Maßnahmen seien richtig, wurden aber viel zu spät kommuniziert

Mehrere südbadische Oberbürgermeister werfen der baden-württembergischen Landesregierung in einem Brief intransparente Kommunikation beim Corona-Management vor, darunter die Stadtoberhäupter aus Achern, Bad Krozingen, Emmendingen, Lahr, Müllheim, Offenburg, Waldkirch und Weil am Rhein. In dem Schreiben an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kritisieren sie unter anderem scharf, dass die neue Corona-Verordnung 50 Minuten vor Inkrafttreten in den Rathäusern einging. Der Freiburger Oberbürgermeister Martin Horn ist nicht unter den Unterzeichnern. Er hatte das Vorgehen der Landesregierung jedoch bereits in den sozialen Medien kritisiert.

Der Brief an den Ministerpräsident im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

am vergangenen Samstag haben Sie bereits auf dem Landesparteitag Ihrer Partei Bündnis 90/Die Grünen Maßnahmen für das Land Baden-Württemberg zum Schutz der Menschen vor Corona-Infektionen angekündigt. Diese sollten in der Nacht zum Mittwoch in Kraft treten.

Seit dieser Ankündigung erreicht uns in den Kommunalverwaltungen, wo vor Ort die Menschen mit ihren konkreten Bedürfnissen nachfragen und wo die Krise für die Kommunen gemanagt werden muss, eine Flut von Nachfragen. Eltern wollen wissen, wer ein Recht auf Notbetreuung in Kindertageseinrichtungen und Schulen hat, Einzelhändler fragen nach, ob sie ab Mittwoch ihr Ladengeschäft noch öffnen dürfen und welche Bestimmungen gegebenenfalls für sie gelten oder Vertreter der Kirchen erkundigen sich nach den Möglichkeiten zur Durchführung von Gottesdiensten.

In jeder der Großen Kreisstädte gingen Hunderte von Anfragen ein. Die Landesregierung hat es im Gegensatz zu den benachbarten Bundesländern wieder einmal nicht geschafft, eine für uns maßgebliche Rechtsgrundlage in Form einer neuen Corona-Verordnung rechtzeitig zu beschließen. Diese wurde dann wenige Minuten vor Mitternacht bekannt gegeben.

In der aktuellen dramatischen Krise brauchen wir Sicherheit für unser Handeln und keine mehrere Tage vorausgehenden Presseerklärungen, die uns keine Handlungsgrundlage geben. Diese Sicherheit brauchen auch die Menschen in unseren Städten, die zu einem ganz überwiege den Teil einsichtig und bereit sind, die Corona- Beschränkungen zu unterstützen.

Sehr geehrter Ministerpräsident, nach harten Monaten dieser Krise machen sich die Belastungen bei den Mitarbeitern in den Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen bemerkbar. Die Schulleiter/—innen, Kindergartenleiterin/-innen und die Mitarbeiter in den Kommunalverwaltungen, die an unterschiedlichen Fronten der Corona-Pandemie kämpfen, sind erschöpft. In dieser extremen Belastungssituation beispielsweise Eltern oder Einzelhändler Stunden vor dem Lock-Down noch nicht einmal gesicherte Auskünfte geben zu können, zehrt an den Nerven aller Beteiligten.

Das muss nicht sein! Um nicht weiter das Vertrauen der Bürgerschaft zu gefährden ist es zwingend erforderlich, dass die Landesregierung zügiger Rechtssicherheit durch die Corona-Verordnungen schafft, so dass diese auch vor Ort kommuniziert und umgesetzt werden können. Die neuerliche Verordnung mit tiefgreifenden Veränderungen kam 50 Minuten vor Mitternacht und damit vor Inkraftsetzung. Leider sind die Vorgänge der letzten Tage nur stellvertretend für vergleichbares Handeln in den letzten Wochen.

Deshalb appellieren wir an Sie eindringlich, die Arbeit aller engagierten Menschen vor Ort ernst zu nehmen und so zu unterstützen, dass es für die Städte und Gemeinden handhabbar bleibt. Wir erkennen durchaus an, dass auch die Situation in den zuständigen Ministerien angespannt ist. Trotzdem fällt auf, dass in vielen anderen Bundesländern die entsprechende Verordnung und die damit einhergehende Rechtssicherheit deutlich zügiger erfolgt. Wir wünschen Ihnen in dieser für uns alle fordernden Zeit alles Gute, viel Kraft und ein schönes Weihnachtsfest.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Oberbürgermeister Klaus Muttach, Stadt Achern
gez. Oberbürgermeister Volker Kieber, Stadt Bad Krozingen
gez. Oberbürgermeister Stefan Schlatterer, Stadt Emmendingen
gez. Oberbürgermeister Toni Vetrano, Stadt Kehl
gez. Oberbürgermeister Markus lbert, Stadt Lahr
gez. Bürgermeister Martin Löffler, Stadt Mühlheim
gez. Oberbürgermeister Matthias Braun, Stadt Oberkirch
gez. Oberbürgermeister Marco Steffen, Stadt Offenburg
gez. Oberbürgermeister Martin Staab, Stadt Radolfzell
gez. Oberbürgermeister Klaus Eberhardt, Stadt Rheinfelden
gez. Oberbürgermeister Ralf Broß, Stadt Rottweil
gez. Oberbürgermeister Michael Beck, Stadt Tuttlingen
gez. Oberbürgermeister Jürgen Roth, Stadt Villingen-Schwenningen
gez. Oberbürgermeister Roman Götzmann, Stadt Waldkirch
gez. Oberbürgermeister Wolfgang Dietz, Stadt Weil am Rhein

(br)