© Martin Horn

Freiburg weitet Coronatest-Strategie an Schulen und Kitas aus

Wattestäbchen in den Mund, dreißig Sekunden lutschen und dann das Testergebnis mit allen weiteren Anweisungen automatisch zugeschickt bekommen

Die Stadt Freiburg möchte ihre Coronatest-Kapazitäten für Kinder und Jugendliche weiter ausbauen und könnte dabei mit ihrem speziellen Verfahren zum bundesweiten Vorreiter werden. Darüber haben Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) und Uniklinik-Direktor Prof. Dr. Frederik Wenz in einem ersten Zwischenfazit am Mittwochmorgen (28.04.2021) informiert.

Nach den gesammelten Erfahrungen mit den so genannten Lolli-Tests im Poolverfahren an den 29 Freiburger Grundschulen soll das System schon bald auch flächendeckend an den weiterführenden Schulen und am Mitte Mai auch an den Kitas zum Einsatz kommen.

Seit Montag läuft die neue Freiburger Teststrategie bereits auf Hochtouren: Rund 10.000 Kinder und Jugendliche, sowie ihre Lehrer können sich dadurch zwei Mal pro Woche mit Hilfe eines PCR-Tests auf das Coronavirus testen lassen.

Mittelfristig sollen davon irgendwann auch Hochschulen und Unternehmen in der Region von deutlich günstigeren, einfacheren und sichereren Testmöglichkeiten profitieren, so der Ausblick, den der Oberbürgermeister zeichnet.

Martin Horn (Oberbürgermeister Freiburg): "Wir brauchen doch gerade an der Stelle andere Maßnahmen als einfach nur Schulschließungen!"

Beim Lolli-Test erhalten alle Schüler einer Klasse gleichzeitig ein Wattestäbchen, an dem sie für etwa dreißig Sekunden wie an einem Lolli lutschen sollen, um so eine Speichelprobe zu entnehmen. Dabei handelt es sich um einen PCR-Test, den Uniklinik-Vertreter Wenz wegen seiner Genauigkeit als klaren Goldstandard unter den Nachweismöglichkeiten des Coronavirus bezeichnet.

Alle Proben werden im Anschluss eingesammelt, als ein gemeinsamer "Pool" zusammengemischt und dann als eine einzige Sammelprobe ins Labor geschickt.

Lolli-Test gilt als kinderleicht und besonders zuverlässig - Pool-Lösung soll die Kosten senken

Nur wenn ein Poolergebnis positiv getestet wird, müssen sich im Anschluss noch einmal alle einzelnen Schüler auf das Coronavirus testen lassen. Für diesen Fall hat Freiburg eine eigene "Teststraße" eingerichtet, in der auch größere Schülergruppen schnell ein Ergebnis erhalten sollen.

In Freiburg war das Poolergebnis beispielsweise in der Woche vor Ostern bei über 3000 durchgeführten Tests nur zwei Mal positiv. In allen anderen Fällen musste nicht nachgetestet werden. Dadurch lassen sich im Vergleich zum klassischen Einzel-PCR-Test und sogar im Vergleich zu den bekannten Antigen-Schnelltests deutlich Kosten sparen, sagt Wenz.

 

OB Horn hofft, dass Schulen mit dem Testverfahren auch bei steigenden Inzidenzzahlen sicher und offen bleiben könnten

Horn ergänzt, dass gleichzeitig auch positiv getestete Kinder über die Gruppenlösung weniger Ausgrenzung und Stigmatisierung erfahren würden. Ihm geht es bei dem neuen Testverfahren auch ganz explizit darum, selbst bei steigenden Inzidenzzahlen so viel Sicherheit für den Unterricht zu schaffen, dass die Schulen auch über einer 7-Tage-Inzidenz von 165 pro 100.000 Einwohner weiter offen bleiben könnten.

Manche Kinder und Jugendliche hätten schon seit Dezember keine Schule mehr von Innen gesehen, mahnt der Oberbürgermeister. Dass ausschließlich Schulschließungen in der Bildungspolitik das einzige Mittel sein sollen, um auf größere Coronaausbrüche zu reagieren, hält er für den falschen Ansatz.

Prof. Dr. Frederik Wenz (Leitender Ärztlicher Direktor Uniklinik Freiburg): "Wir konnten zeigen, dass das Verfahren eine extrem hohe Sensitivität hat"

Erfunden hatte die Methode nicht Freiburg selbst, sondern die Stadt Köln. Die jüngsten Praxiserfahrungen aus dem Breisgau ermöglichen jetzt aber, dass die Tests an den Schulen nicht mehr händisch in Listen eingetragen und übermittelt werden müssen.

Stattdessen haben Stadtverwaltung, Uniklinik und Labore zusammen mit einem österreichischen IT-Partner das komplette Test-Verfahren unter dem Projektnamen "Poolie" automatisiert.

Die neue IT-Infrakstruktur für die Tests an den Schulen dürfte bisher bundesweit einzigartig sein

Lehrer können damit die Anwesenheit eines Schülers per Software erfassen. Dafür müssen die Schulsekreteriate nur ein Mal im Voraus die Daten der einzelnen Schüler mit kleinen Aufklebern erfassen und zuordnen, anstatt bei jedem Test neue Formulare auszufüllen.

Auch alle Testergebnisse werden im Anschluss digital übermittelt. Im Fall eines positiven Ergebnisses innerhalb einer getesteten Schulklasse, werden auch alle Eltern automatisch über die weiteren Schritte benachrichtigt.

Anfragen von anderen Oberbürgermeistern, dem RKI und dem Bunderkanzleramt

Dass in der IT-gestützten Methode auch für andere Bereiche des öffentlichen Lebens ein großes Potenzial steckt, zeigen die Anfragen, die bereits an die Macher in Freiburg eingingen:

Allein in den letzten Wochen haben sich mehr als ein Dutzend andere Städte aus ganz Deutschland bei Horn und Wenz erkundigt. Darüber hinaus liefen teils umfassende Gespräche mit dem Robert-Koch-Institut und Bundeskanzlerin Merkel.

Dabei ging es auch um die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die das Testverfahren mit sich bringt. Die Uniklinik wertet die Daten aus und soll auf diese Art fundierte Aussagen darüber treffen können, welche Rolle die offenen Schulen mit Präsenzunterricht tatsächlich für das Infektionsgeschehen in der Coronapandemie spielen.

Bei allen Vorteilen, die das Pooltesten mit PCR-Lollitests mit sich bringt, hat die Sache aber auch mindestens zwei Haken:

Mögliche Probleme: Eltern können Einverständnis verweigern und Labor-Kapazitäten müssen ausreichen

Zum Einen gibt es einzelne Schulen, in denen Eltern die Einverständniserklärung zum Testen verweigern oder schlichtweg die Datenschutzerklärung nicht verstehen - etwa wegen Sprachbarrieren, anderen Grundüberzeugungen oder mangelndem Interesse am Thema.

Hier ist es für die Rektoren teils sehr schwer, diese Familien überhaupt zu erreichen, berichten die Verantwortlichen. Weil der Lolli-Test aber im Gegensatz zu Nasen- und Rachenabstrichen sehr kinderfreundlich durchzuführen ist, sei die Akzeptanz bei den Eltern insgesamt bisher trotzdem sehr hoch.

Zum Anderen wären da die Labor-Kapazitäten als beschränkender Faktor. Denn auch wenn das Auswerten von gesammelten Pool-Proben weniger aufwändig ist, als jede einzelne Speichelprobe zu untersuchen, können die Labore nicht unzählig viele Coronatests stemmen. Grundsätzlich könnte hier also ein Flaschenhals entstehen, falls die eingesammelten Proben nicht mehr schnell genug ausgewertet werden.

Freiburg bereitet sich schon jetzt auf Ausweitung des Systems vor

In Freiburg behandelt das Medizinische Versorgungszentrum Clotten die Lollitests aus den Schulen (und künftig auch die der Kindergärten) mit der gleichen Dringlichkeit wie Laboruntersuchungen im Auftrag der Uniklinik. So sollen Infektionen möglichst rasch entdeckt und Ansteckungsketten im laufenden Schulbetrieb unterbrochen werden können.

Sowohl Klinikum als auch das Labor sind bereits dabei ihre Kapazitäten weiter auszubauen, damit die priorisierte Auswertung der Schul-Tests weiterhin gewährleistet bleibt und auch die Kitas noch hinzukommen können.

(fw)