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Auch im Falle möglicher Lockerungen: Weiteres Hilfspaket für Tourismusbranche notwendig

Ängste, Perspektiven und Chancen für einen ganzen Wirtschaftszweig

Die Tourismusbranche in Baden-Württemberg kämpft um's Überleben. Der Shutdown anlässlich der grassierenden Corona-Pandemie hat den Fremdenverkehr von einem Tag auf den anderen praktisch vollständig zum Erliegen gebracht. Die Umsatzausfälle: 100 Prozent. Und doch gibt es auch Chancen für die Branche - wenn die Politik handelt. Derweil wendet sich der Chef der Hochschwarzwald Tourismus GmbH per Video an die Politik.

Neun Jahre in Folge verzeichnete die Tourismusbranche in Baden-Württemberg Rekorde. Über 57 Millionen Übernachtungen verzeichneten Hotelbetriebe im vergangenen Jahr. Es wurde investiert. Der Trend zeigte ungebrochen steil nach oben. Dann kam das Coronavirus. Und plötzlich fürchtet eine erfolgsverwöhnte Branche um ihre Existenz, um tausende Betriebe. Zehntausende Beschäftigte könnten arbeitslos werden. Die Gefahr ist real und das Aus vieler Hotels könnte schneller kommen, als die Politik ein Konzept erarbeiten kann, mit dessen Hilfe der Tourismusbetrieb zumindest eingeschränkt wieder aufgenommen werden könnte.

Habt ihr uns vergessen?"

So verwundert es nicht, dass der Ruf nach einem weiteren Hilfspaket nach den ersten Corona-Soforthilfen laut wird. "Habt ihr uns vergessen?", fragen Thorsten Rudolph, Geschäftsführer der Hochschwarzwald Tourismus GmbH und sein Aufsichtsrat Klaus-Günther Wiesler in einer Videobotschaft an die Landes- und Bundespolitik. Die fehlende Perspektive für Gastronomie und Hotellerie bringe Unsicherheit für Tausende Arbeitnehmer im Hochschwarzwald. Mitarbeiter wurden eingestellt, die im Mai mit der Arbeit beginnen sollten. Es gebe Anfragen von Gästen, denen man nichts Konkretes sagen könne.

Nach den Lockerungen für den Einzelhandel fordert Baden-Württembergs Tourismusminister Guido Wolf (CDU) deshalb auch eine schrittweise Perspektive für die Tourismus- und Gastro-Branche nach dem 3. Mai. "Ich könnte mir vorstellen, dass man Gaststätten, Hotels, Parks und Ausflugsziele zunächst mit reduzierten Kapazitäten wieder öffnet", so der Minister gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Wichtig sei es, die Abstandsregeln einhalten zu können. Auch bei Ferien auf dem Bauernhof oder auf Campingplätzen, in Ferienwohnungen oder in kleineren Pensionen sei dies gut möglich. Die Industrie- und Handelskammer Baden-Württemberg hofft ebenfalls auf eine schrittweise Lockerung, ähnlich jenen im Einzelhandel. Und auch Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut sprach sich zuletzt für eine Perspektive für Hotellerie und Gastronomie aus.

Das Risiko einer neuen Infektionswelle ist groß, doch die Zeit drängt

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) stellt allerdings wiederholt lediglich eine langsame Rückkehr in die Normalität in Aussicht. Zu groß sei das Risiko einer erneuten Infektionswelle. Nur so habe der Staat die Möglichkeit, den Verlauf der Pandemie zu steuern und bei Bedarf nachzujustieren. Gleichzeitig drängt die Zeit. Das Ostergeschäft fiel für die Branche bereits ins Wasser - an Pfingsten wird sich das nicht ändern. Ein Dilemma.

Bleiben die Sommerferien. Auf die hofft nun eine ganze Branche - nicht nur Hoteliers, sondern auch Fremdenführer, Fahrradverleiher, Reisebüros, Busunternehmer und Freizeitparks, wie der Europa-Park in Rust. Der sei jederzeit bereit, wieder zu öffnen, betont die Inhaber-Familie Mack. Dabei wolle man sich aber genau an die behördlichen Vorgaben halten und vertraue der Politik, die richtigen Entscheidungen im Sinne des Infektionsschutzes zu treffen, der momentan Vorrang habe.

"Die bisherigen Hilfsleistungen reichen bei weitem nicht aus."

Doch nicht jeder Betrieb kann auf Rücklagen zurückgreifen, wie der beliebte Freizeitpark. Sollte es keine neuen Rettungs- und Entschädigungsfonds geben, könnten Zehntausende in der Branche ihren Job verlieren. "Die bisherigen Hilfsleistungen reichen bei Weitem nicht aus", sagt Fritz Engelhardt, der Vorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga Baden-Württemberg. "In sehr vielen Betrieben des Gastgewerbes wird die Liquidität in wenigen Wochen erschöpft sein." Er fordert unter anderem, die Mehrwertsteuer nach der Krise für Speisen in der Gastronomie von 19 auf 7 Prozent zu senken.

Hoffnung für die Sommerferien

Und doch gibt es Hoffnung: Wenn die Restriktionen in den Sommerferien tatsächlich gelockert würden und Urlaub im eigenen Land möglich wäre, könnte der Tourismus im Südwesten einen echten Boom erleben. "Viele Gäste werden zum Beispiel im Schwarzwald oder am Bodensee Urlaub machen", glaubt Martin Keppler von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Baden-Württemberg. Dafür müssten die Betriebe allerdings noch existieren und die Branche nicht am Boden liegen.

(br/dpa)