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Alemannisch adieu? Sind Dialekte wirklich am Aussterben?

Von den "Sunniwirbili" bis hin zum "Lumbeseggl" - viele Worte aus dem Alemannischen kennen wir in Südbaden noch heute. Doch in unserem Alltag spielen sie scheinbar eine immer kleinere Rolle. Das geht nicht nur den Menschen in der Region so, sondern ist ein bundesweiter Trend. Den nehmen jetzt führende Sprachwissenschaftler zum Anlass und kommen bei ihren Untersuchungen zu dem besorgniserregenden Schluss: Die Dialekte sind auf dem Rückzug und sterben in manchen Regionen sogar langsam aus.

 

Umfrage in Freiburg: So viel Dialekt wird bei uns im Alltag noch gesprochen - oder etwa nicht?

baden.fm hat das zum Anlass genommen und mit dem Freiburger Dialektforscher Dr. Tobias Streck gesprochen. Er ist Leiter des Badischen-Wörterbuch-Projekts an der Uni Freiburg und kennt sich gerade mit dem alemannischen Dialekt bei uns in Südbaden so gut aus, wie kaum ein Zweiter. Er kommt zu dem Schluss, dass sich in unserem Sprachgebrauch tatsächlich einiges geändert hat. Von einem Aussterben des Dialekts ist gerade der Süden Deutschlands aber noch weit entfernt. Viel eher sollte man von einem Sprachwandel ausgehen.

 

Dialektforscher Tobias Streck: Im Süddeutschen Raum ist es um den Dialekt noch ganz gut bestellt

Denn Sprache wandelt sich mit unseren Lebensgewohnheiten mit, ist sich Streck sicher. Vor einhundert Jahren ist die Bevölkerung beispielsweise noch völlig anderen Berufen nachgegangen, war viel weniger vernetzt und hatte auch kaum vergleichbaren Austausch mit anderen Regionen, Kulturen und Sprachkreisen. Dialekt hatte damit einen ganz anderen Stellenwert: Für die meisten war er damals besonders im ländlichen Raum die einzige Art zu Sprechen, die vorhanden war.

 

Heute benutzen wir den Dialekt vor allem noch im familiären Bereich und unter engen Freunden, in Vereinen oder anderen Situationen, bei denen es um Nähe, Gemeinschaftsgefühl und Zugehörigkeit geht. Gleichzeitig können die meisten auch jederzeit auf das Hochdeutsche als eher formale und distanzierte Standardsprache zurückgreifen - eben abhängig von der jeweiligen Situation und dem Gesprächspartner. Außerdem haben gerade im Alemannischen solche Begriffe "überlebt", die sich gewissermaßen eine Nische suchen konnten: So tauchen besonders bei Begriffen aus dem Handwerk, der Landwirtschaft oder auch lustigerweise bei Schimpfwörtern oft heute immer noch einige Kandidaten aus der Mundart auf.

 

Ein Trend lässt sich schon seit Längerem festhalten und hat auch mit der Tatsache zu tun, dass die Menschen, die zum Beispiel in Südbaden geboren sind, nicht automatisch ihr ganzes Leben lang hier bleiben. Dialekt ist heute nicht mehr bloß eine Sache von Herkunft und Regionalität. Auch sozialer Hintergrund, Alter und kulturelle Faktoren sind dafür verantwortlich, wie sich Menschen ausdrücken und miteinander sprechen. Vom Dialekt geht es dadurch immer mehr in Richtung Soziolekt - man denke etwa an Begriffe aus der Jugendsprache oder dem heiß diskutierten Kiezdeutsch mit vereinfachten Sätzen wie "Gehstu Supermarkt?". Doch nicht nur dadurch wird der Dialekt immer "großräumiger".

 

Die Sprachwissenschaftler haben die Grenzen zwischen verschiedenen Dialekten anhand von kleinen Unterschieden bei Benennung und Aussprache besonders plakativer Begriffe auf Karten festgehalten. Ein besonders bedeutsames aktuelles Beispiel ist hier der so genannte Atlas der Alltagssprache. So lässt sich beispielsweise sagen, dass auf der Höhe von Freiburg eine eben solche sprachliche Grenze, Isoglosse genannt, läuft:

Dialektforscher Tobias Streck: Dialekt soll fast immer Nähe und Gemeinschaft ausdrücken

 

Während nördlich vom Breisgau das Wort "Kind" klassischerweise mit einem harten K im Anlaut ausgesprochen wird, war bislang bereits im Markgräflerland bis weiter über die Schweizer Grenze oft ein kehliges CH, also "Chind" zu hören - so zumindest der Stand früher. Hier scheint inzwischen ein Wandel im Gange zu sein: Dialekt-Grenzen stimmen heute immer genauer mit den Landesgrenzen überein. So findet man die "Chind"-Sprecher auf deutscher Seite fast nur noch im direkten Grenzgebiet.

Dialektforscher Tobias Streck: Die Übergänge zwischen den Dialekten verschieben sich stark

 

Jetzt ist Ihre Meinung gefragt - welche Rollen spielt der Dialekt bei Ihnen? Diskutieren Sie mit auf unserer baden.fm-Facebookseite und schicken Sie uns dort Ihre schönsten Sprüche auf Alemannisch! Wer außerdem mehr über die Rolle von Dialekten erfahren will, hat dazu am 10. und 11. Juli beim Freiburger Wissenschaftsmarkt auf dem Münsterplatz Gelegenheit. Das Forscherteam um Dr. Tobias Streck wird dort mit dem Badischen Wörterbuch Besuchern Rede und Antwort stehen.