Ukraine, Kiew, Kinderheim, Vaterhaus, Kinder, Freiburg, Oleksandr Bohdanov, Krieg, Flucht, © Philipp von Ditfurth - dpa

So geht es jetzt den geretteten Heimkindern aus Kiew in Freiburg

Die Stadt Freiburg möchte außerdem noch mehr Menschen in der Ukraine Hilfe ermöglichen

Dass es die Gruppe von rund 160 Kindern und Jugendlichen und ihren knapp 30 Betreuern heil aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew nach Freiburg geschafft hat, gleicht angesichts der vielen Hindernisse auf ihrem Weg einem regelrechten Wunder.

Eine Woche nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine und nur wenige Tage nach der Ankunft der geflüchteten Gruppe in Baden hat sich diese noch einmal am Donnerstag (03.03.2022) im Innenhof der Rathaus-Gerichtslaube bei einem öffentlichen Treffen vor Mikrofonen und Kameras zu Wort gemeldet und ausdrücklich bei ihren Rettern bedankt.

Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn will sich für "Grünen Korridor" für leichtere Hilfslieferungen in die Ukraine einsetzen

Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn und Erster Bürgermeister Ulrich von Kirchbach berichten dabei übereinstimmend von einer riesigen Welle der Hilfsbereitschaft. Auch Schul- und Jugendbürgermeisterin Christine Buchheit kann diesen Eindruck nur unterschreiben.

Schon eine Viertelmillion Euro an Spendengeldern in nur ein paar Tagen gesammelt

Innerhalb weniger Tage seien auf dem Spendenkonto für die ukrainische Partnerstadt Lemberg schon mehr als 250.000 Euro zusammengekommen. In Freiburg würden außerdem Hoteliers Räume und Familien Kinderzimmer anbieten, um die geretteten Menschen aufnehmen zu können.

Alle bisherigen Hilfen seien zwar angesichts der Zerstörung des Krieges nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt Horn. Doch Freiburg möchte sich zusammen mit anderen Politikern von Bund und Ländern für einen "Grünen Korridor" einsetzen, über den Hilfsgüter ohne Zeit kostende Kontrollen schneller über Polen in die Ukraine gelangen könnten.

Der Oberbürgermeister erzählt, alle im Rathaus und aus der am Freitag gegründeten "Task Force" hätten in den letzten Tagen mehr Tränen vergossen, als in den Jahren zuvor.

Der Heimleiter des Kiewer "Vaterhaus" Roman Korniiko hätte sich nicht vorstellen können mit welcher Liebe und Herzlichkeit die geretteten Kinder in Freiburg aufgenommen werden

Der Leiter des evakuierten Kinderheims "Vaterhaus" Roman Korniiko war bei dem Termin noch einmal sichtlich bewegt von der, so wörtlich, "Therapie der Liebe", die seine Kinder und er in den letzten Tagen erfahren hatten. Zu Tränen gerührt dankte er den Menschen in Freiburg:

Möge der Herr euch das hundertfach zurückgeben und eure Kinder nie erfahren, was das heißt, unter Bombenbeschuss zu sein, was es bedeutet, sich zu verstecken und zu flüchen in ein fremdes Land.

Für den Teenager Oleksandr Bohdanov dürfte sich das Erlebte noch immer wie ein einziger Albtraum anfühlen. Als die russischen Truppen in der Ukraine ankamen, hatten ihn seine Eltern geweckt mit den Worten: "In unserem Land ist Krieg, wir werden bombardiert".

Jugendlicher muss nun für seine Schwestern in Freiburg die Rolle seiner Eltern in der Ukraine ersetzen

Dann ging wohl alles ganz schnell, berichtet der Jugendliche eine knappe Woche später im Freiburger Rathaus. Ihm war es ein Anliegen, hier in Baden nun selbst vor die Mikrofone zu treten und von den Erlebnissen der dramatischen Flucht zu erzählen.

Wie der Teenager Oleksandr Bohdanov die Flucht mit seinen Schwestern aus dem bombardierten Kiew nach Freiburg erlebt hat

Seine Eltern haben sich dazu entschieden, dass Oleksandr und seine Schwestern die Chance auf eine Flucht nach Deutschland wahrnehmen sollten. Sie selbst blieben aber in der Ukraine. Als der junge Mann mit seinen Geschwistern in den Bus einstieg, waren alle vor Angst ganz still.

Viele der Kinder und Jugendlichen standen so sehr unter dem Eindruck des Geschehens, dass sie nicht einmal mehr weinen konnten. Für die meisten war es auch nur schwer zu begreifen, dass sie nun in einem Bus saßen, der sie raus aus ihrer Heimat in ein völlig fremdes Land bringen sollte und in eine Stadt, von der sie teilweise gar nicht wussten, wo sie überhaupt auf der Landkarte zu finden ist.

Einige der Kinder sind traumatisiert - manche haben schon vor dem Krieg Gewalterfahrungen machen müssen

Auf der Fahrt habe es einen Moment gegeben, als Oleksandr raus in den Himmel blickte und dann die Explosionen der Bombardements sah, beschreibt er. Auch seine Schwestern hätte er auf der Fahrt kaum wiedererkannt.

Wie Erzieherin Iryna Chebotariova ergänzt, habe das Kriegsgeschehen und die Flucht einige Kinder - die auch in der Vergangenheit teils schon Erfahrungen mit Gewalt machen mussten - traumatisiert.

Trotz stundenlanger Reise durch die halbe Ukraine nach Polen und von dort nach Dresden und Freiburg haben die Kinder kaum etwas getrunken, aus Angst, dass der Bus dann für eine Pause halten müsste. Manche haben sich dabei eingenässt - doch das wäre aus ihrer Sicht besser gewesen, als nicht weiter fliehen zu können.

Erst als die stundenlange Odyssee für die Gruppe am Wochenende in Freiburg ihre Ende gefunden hatte, konnte dann beispielsweise auch Oleksandr seine Schwestern zum ersten Mal wieder etwas lächeln sehen.

Heimerzieherin Iryna Chebotariova aus der Ukraine ist unendlich dankbar für die Hilfsbereitschaft und Liebe, die ihren geretteten Kindern zuteil wurde

Für sie alle ist es unvorstellbar, mit welcher Hilfsbereitschaft sie hier aufgenommen und versorgt wurden. Alle hätten sofort etwas zu Essen und Trinken bekommen, wer medizinische Versorgung brauchte, erhielt sie und wer ein Spielzeug wollte, wurde auch damit ausgestattet.

Trotzdem ist es für den Teenager nur schwer zu fassen, dass seine Eltern zurück in der Ukraine geblieben sind und dass er nun stark sein muss, um die Rolle für seine Schwestern ein Stück weit aufzufangen, übersetzt seine Dolmetscherin, die selbst wegen der ganzen Dramatik des Erlebten mehrfach ins Stocken kam.

Busunternehmer und Fahrer Valerij Mironjuk hat die rund 160 Heimkinder aus Kiew und ihre Betreuer sicher aus der Ukraine nach Freiburg gefahren

Am Wochenende war die Gruppe erst einmal in einer Sporthalle untergekommen, wo sie medizinisch betreut und mit frischer Kleidung, Lebensmitteln und dem Notwendigsten versorgt wurde.

Im Anschluss ging es für sie in die Freiburger Jugendherberge, wo sie nun von den weitgehend ehrenamtlichen Helfern vom S'Einlädele der Evangelischen Stadtmission und anderen Freiburger Unterstützern betreut werden.

Stadtmission ruft die Freiburger zum Spenden von Care-Paketen für die Menschen in der Ukraine auf

Wie Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach ankündigt, können sie dort zwar nicht ewig bleiben. Aber die Suche nach passenden Räumen für die Gruppe sei schon weit vorangeschritten. Ziel sei es dabei auch, dass die Kinder und Jugendlichen weiterhin zusammenbleiben können und nicht einzelne von ihnen aus der Gruppe herausgelöst in unterschiedlichen Gastfamilien landen.

Freiburgs Stadtmission-Chefin Katja Potzies erklärt, wie die Hilfe für die Menschen in der Ukraine weitergehen soll

Gleichzeitig möchte die Stadtmission weitere Hilfslieferungen in die Ukraine möglich machen. Sie ruft jetzt die Bürger in Freiburg und dem Umland dazu auf, Care-Pakete in Größe einer Bananenkiste zu spenden.

Der Inhalt soll den vom Krieg betroffenen Ukrainern beim Überleben helfen. Dabei gibt es eine genaue Liste an Gegenständen, die nun auch tatsächlich benötigt werden:

  • Lebensmittel wie Babybrei, Brühwürfel, Konserven, Margarine, Mehl, Nudeln, Öl, Salz, Zucker, Tee, Schokolade, Nüsse, Zwieback, Milchpulver, Haferflocken
  • Schlafsäcke, Decken und Isomatten
  • Verbandskästen und andere Erste-Hilfe-Sets
  • Babywindeln und Feuchttücher
  • Hygieneprodukte wie Duschgel, Zahncreme, Zahnbürsten oder Damenhygieartikel

Die Evangelische Stadtmission nimmt die Care-Pakete in der Oltmannstraße 30 in Freiburg wochentags immer von 8 bis 12 Uhr entgegen, mittwochs dabei auch am Nachmittag und frühen Abend bis 18 Uhr.

(fw) / dpa