Coronavirus, Mundschutz, Atemschutzmaske, Handy, Smartphone, © Kay Nietfeld - dpa (Symbolbild)

Setzen die Corona-Maßnahmen die Freiheit der Gesellschaft aufs Spiel?

Es geht um Tracking-Apps, die zeitliche Entwicklung der Corona-Maßnahmen und um die Sorge vor staatlicher Überwachung

Die allermeisten Menschen in Baden-Württemberg halten sich an die verhängten Kontaktverbote und anderen Einschränkungen des öffentlichen Lebens, um damit die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Trotzdem gibt es an den Eindämmungsmaßnahmen inzwischen auch immer wieder Kritik. Im Zentrum steht dabei immer deutlicher die Frage, ob die Politik mit ihrer Vorgehensweise die Freiheit der Gesellschaft aufs Spiel setzt, falls der jetzige Alltag zum Dauerzustand werden sollte.

In der laufenden Diskussion hat sich am Donnerstag (02.04.2020) dazu auch der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier mit einem deutlichen Statement zu Wort gemeldet: Wenn sich die aktuellen Eingriffe in die Grundrechte der Bürger viel länger hinziehen, hat der liberale Rechtsstaat abgedankt, sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Bis jetzt hält Papier die Einschränkung der Bewegungsfreiheit jedes Einzelnen für den Infektionsschutz für rechtmäßig. Ihm geht es eher um den Blick in die Zukunft: Bundespolitik und Verwaltung müssten immer wieder neu prüfen, ob es in der aktuellen Situation nicht auch weniger einschneidende Maßnahmen geben könnte.

Kretschmann: Jetzt über Lockerungen zu sprechen, wäre ein falsches Signal

Deutschlands früherer Innenminister Gerhart Baum (FDP) hat sich vor diesem Hintergrund für ein Verfallsdatum von zwei Monaten für alle getroffenen Entscheidungen in der Coronakrise ausgesprochen. Und auch Parteichef Christian Lindner möchte die Bundesregierung zumindest dazu bringen, öffentlich über denkbare Lockerungen der Corona-Regeln oder einen Zeitplan dafür zu sprechen. Nur so lässt sich aus seiner Überzeugung erreichen, dass die Bürger die öffentlichen Einschnitte auch weiterhin akzeptieren.

Im Südwesten hält die Landesregierung um Ministerpräsident Winfried Kretschmann (GRÜNE) klar dagegen. Er sagte:

Erstens mal opfern wir keine Freiheitsrechte, weil die Freiheitsrechte sind nur zeitweise eingeschränkt. [...] Zweitens geht es darum, in einer Katastrophensituation Leben zu retten. Die Bevölkerung kann sicher sein, dass mit dem Ende dieser Krise die Freiheitsrechte radikal wieder hergestellt werden, so wie es vorher war.

Auf eine Debatte darüber, wann es mögliche Lockerungen geben könnte, will sich der Baden-Württembergische Landesvater zum jetzigen Zeitpunkt nicht einlassen. Er hält das für zu gefährlich, da schnell der Eindruck entstehen könnte, die Pandemie sei nicht so schlimm oder nicht mehr so schlimm. Tatsächlich betonte Kretschmann, dass wir noch immer nicht den Höhepunkt der Coronavirus-Infektionen erreicht haben, sondern voraussichtlich weiterhin erst am Anfang stehen.

Auch Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) hatte bei einer Pressekonferenz am Dienstag (31.03.2020) deutlich gemacht, die Maßnahmen seien nur vorübergehend. Die Gesundheit und Sicherheit der Menschen habe in seinen Augen aber trotzdem höchste Priorität. Strobl positionierte sich dabei auch klar hinter dem möglichen Einsatz so genannter Tracking-Apps, die den Gesundheitsbehörden weitreichende Infos über Infektionsketten liefern könnten. Auch er räumt dabei allerdings ein, dass die Nutzung freiwillig bleiben müsste.

So könnte die geplante Tracking-App in Deutschland funktionieren

Seit Mittwoch (01.04.2020) testen 50 Bundeswehrsoldaten erstmals so eine Handy-App, die in Deutschland durch das Robert-Koch-Institut, das Fraunhofer Hinrich-Hertz-Institut für Nachrichtentechnik und verschiedenen Startups aus dem gesamten europäischen Raum vorangetrieben wird. Seit Anfang März arbeiten Ingenieure, Programmierer, Gesundheitsexperten und Psychologen dabei an der Software mit dem umständlichen Namen "Pan European Privacy-Protecting Proximity Tracing" (PEPP-PT).

Ziel ist es, über die Funktechnik Bluetooth Daten darüber zu sammeln, wer mit wem längeren Kontakt hatte und damit andere angesteckt haben könnte. Dabei wird der Abstand zwischen den einzelnen Geräten mit aktivierter Bluetooth-Funktion gemessen und auch die Dauer. Wer nur an anderen vorbeigeht, soll von der App nicht erfasst werden - wohl aber, wer sich ein paar Minuten mit jemandem zusammen am gleichen Ort aufgehalten hat.

Die eigentlichen Bewegungsprofile oder Standortdaten über GPS sollen dabei nicht genutzt werden, sagte Projektleiter Thomas Wiegand, sondern der reine Kontakt der Smartphones untereinander via Bluetooth. Alle Daten sollen anonymisiert und verschlüsselt gespeichert werden. Direkte Rückschlüsse auf den einzelnen Nutzer sollen sich dadurch nicht ziehen lassen. Die Informationen sollen 21 Tage lang auf dem eigenen Handy liegen bleiben.

Es dürfen keine Rückschlüsse auf den einzelnen Nutzer möglich sein

Falls in dieser Zeit ein Nutzer positiv auf das Coronavirus getestet wird, wäre es den Behörden oder Laboren möglich, den gespeicherten Kontakten während dieser Zeit eine Nachricht darüber zukommen zu lassen, so die Idee. Um wen es sich bei beiden Seiten handelt, wird aus Datenschutzgründen nicht offengelegt. So soll sich niemand Gedanken machen müssen, dass plötzlich Wildfremde, Arbeitskollegen oder Freunde über den eigenen gesundheitlichen Zustand Bescheid wissen könnten.

Anders als in China oder Israel soll das Projekt auch nicht zur Pflicht werden. Dort überwachen die Regierungen die Handys von Menschen in Quarantäne teils auch ohne konkrete Zustimmung. In Singapur und Südkorea sind entsprechende Tracking-Apps zwar freiwillig. Die Politik wirkt aber auf den Einzelnen hohen Druck aus, die entsprechende Technologie auch unbedingt auf ihren Geräten zu installieren.

Auch in Deutschland hatten Datenschützer und Menschenrechtsorganisationen zu Beginn teils große Bedenken. Dadurch, dass sich die für die App notwendige Bluetoothfunktion bei den Smartphones aber jederzeit abschalten lässt und die Daten nur über einen begrenzten Zeitraum gespeichert werden, räumte inzwischen auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) den möglichen Nutzen des Projekts ein.

Angst vor Missbrauch und Spionage sensibler Daten

Trotzdem bleibt bei vielen Menschen die Angst vor staatlicher Überwachung. Wenn die geplante Tracking-App auch von einer breiten Masse akzeptiert werden soll, muss rechtlich eindeutig sichergestellt sein, dass nicht heimlich doch weitere Daten ausgelesen werden können oder die gespeicherten Informationen in der Zukunft für andere Zwecke benutzt werden könnten - nicht einmal für Polizei und Staatsanwaltschaft. Dazu müsste die Tracking-App nach dem Ende der Pandemie auch wieder sofort zurückgefahren und alle aufgezeichneten Daten gelöscht werden.

Und auch der Missbrauch durch Dritte muss über IT-Schutzmaßnahmen und datenschutzrechtliche Klauseln so gut es nur geht ausgeschlossen werden können. Denn auch wenn sich keine direkten Rückschlüsse auf den einzelnen App-Nutzer ziehen lassen, handelt es sich im Fall einer Infektion mit Covid-19 streng genommen trotzdem um sensible Patientendaten.

Datenschützer kritisiert mangelnde Digitalisierung im Gesundheitswesen

Hier hat der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber einen der größten Kritikpunkte an dem gesamten Vorhaben auszusetzen: Das deutsche Gesundheitssystem habe zu Teilen die Digitalisierung verschlafen, sagte er am Montag (30.03.2020) in einem ARD-Interview. So gibt es beispielsweise noch immer keine elektronische Patientenakte. Und das könne man auch nicht einfach im Hau-Ruck-Verfahren aufholen, weil es für den Schutz solcher sensibler Daten IT-Sicherheit und Datenschutz brauche. Ähnlich sei das nun mit den Tracking-Apps.

Was aus Kelbers Sicht bisher zuverlässig geschützt werden kann, das sind die Daten auf der elektronischen Gesundheitskarte der Krankenversicherten. Diese lassen aber mit ihren Behandlungs- und Abrechnungsdaten keine Infos über mögliche Kontakte eines Infizierten zu anderen Menschen zu und wären damit auch bei der Suche nach Coronavirus-Infektionsketten nicht sonderlich von Nutzen.

(fw) / dpa

 

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