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Reichsbürger-Prozess in Stuttgart verzögert sich

Die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidung wurden verschoben

Der Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart gegen einen sogenannten Reichsbürger aus Efringen-Kirchen (Landkreis Lörrach) verzögert sich. Eigentlich waren am Freitag (27.01.2023) die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung geplant. Stattdessen wird sich der erste größere Prozess gegen einen Reichsbürger in Baden-Württemberg in die Länge ziehen, vielleicht auch noch mehrere Wochen. Die Kammer will erst am nächsten Freitag (03.02.2023) über die vier Anträge entscheiden und hat schon weitere Verhandlungstermine bis in den März hinein abgesprochen. Dem 62-jährigen Angeklagten wird unter anderem versuchter Mord vorgeworfen. Er soll im Februar 2022 bei mehreren gescheiterten Verkehrskontrollen geflohen sein und schließlich absichtlich einen Polizisten angefahren haben.

Im Prozess hat der Angeklagte keine Angaben zu den Tatvorwürfen gemacht

Der Mann ist der erste sogenannte Reichsbürger, der von der Bundesanwaltschaft vor Gericht angeklagt worden ist. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihres Rechtssystems, sie sprechen Politikern und Staatsbediensteten die Legitimation ab und verstoßen immer wieder gegen Gesetze. Der Angeklagte hatte im Prozess keine Angaben zur Sache und zu seiner politischen Einstellung gemacht. In den Beweisanträgen fordert sein Verteidiger nun unter anderem ein audiovisuelles Gutachten zur Abfolge der insgesamt fast 20 Schüsse aus jener Nacht sowie eine weitere Nachstellung am Tatort, um die damaligen Sichtverhältnisse besser einschätzen zu können. Es gehe ihm nicht darum, den Prozess in die Länge zu ziehen, sagte der Anwalt. "Aber ich sehe da ergänzende Möglichkeiten, mit denen der Senat eine bessere Erkenntnis gewinnen kann."

Ein Polizeibeamter wurde bei der Tat schwer verletzt

Bei der Auto-Attacke im Februar 2022 war ein Polizeibeamter schwer verletzt worden, er kann nicht mehr als Polizist arbeiten und ist nach eigener Beschreibung "charakterlich ein anderer Mensch geworden". "Nachts habe ich regelmäßig Träume von Scheinwerfern, die auf mich zukommen", hatte er in seiner Zeugenaussage gesagt. An die entscheidenden Sekunden, in denen er absichtlich angefahren worden sein soll, könne er sich aber nicht mehr erinnern.

Bundesanwaltschaft wirft dem Angeklagten eine "Reichsbürger"-Ideologie vor

Der angeklagte Schreiner aus Efringen-Kirchen (Landkreis Lörrach) vertritt nach Angaben der hauptsächlich für Terror-Ermittlungen zuständigen Bundesanwaltschaft eine "Reichsbürger"-Ideologie. Er bezeichne sich selbst als Angehöriger des Großherzogtums Baden, wirft ihm die Bundesanwaltschaft im laufenden Prozess vor. Der Mann betrachte sich als "außerhalb der geltenden Rechtsordnung stehend", weil er die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugne und hoheitliche Befugnisse ihrer Repräsentanten nicht anerkenne. Polizisten seien für ihn nach seinen eigenen Angaben "Kombattanten, Terroristen, Partisanen", hatte eine Anklagevertreterin zum Prozessauftakt formuliert.

Verfassungsschutz geht von etwa 3800 sogenannten Reichsbürgern in Baden-Württemberg aus

In Baden-Württemberg liegt die Zahl der erfassten "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" nach Angaben des Landesamts für Verfassungsschutz bei etwa 3800 - Tendenz steigend. Rund zehn Prozent stuft die Behörde als gewaltorientiert ein. Die Szene besteht überwiegend aus Einzelpersonen, die nicht oder nur lose in Organisationen eingebunden sind.

(dpa/rg)