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Doppelt so viele Flüchtlinge wie erwartet – Freiburg muss reagieren

Es ist nach Ansicht des Rathauschefs eine der größten politischen und sozialen Herausforderungen, vor denen Freiburg je Stand. Weil immer mehr Flüchtlinge in Deutschland ein neues Zuhause und Schutz vor Krieg, Verfolgung und lebensbedrohenden Umständen suchen, kommt auch die Stadt Freiburg nicht mehr hinterher. 800 zusätzliche Unterkunftsplätze hatte das Team um Oberbürgermeister Dieter Salomon eigentlich für dieses Jahr vorgesehen. Dann musste das Land Baden-Württemberg die Zahlen der Neuankömmlinge drastisch nach oben korrigieren, Freiburg reagierte mit weiteren 870 geplanten Plätzen - und stößt jetzt langsam an seine Grenzen: Die Stadt hat bereits fünf Standorte im gesamten Einzugsgebiet ins Auge gefasst, wo neue Flüchtlingswohnheime entstehen könnten. Doch selbst die würden nicht ausreichen, am Ende des Jahres 2015 finden rein rechnerisch über 390 Menschen kein Dach über dem Kopf.

 

 

Dieter Salomon: Turnhallen umfunktionieren wäre letztes Mittel

Sporthallen als Massenunterkunft inzwischen nicht mehr auszuschließen

 

Doch so weit will es Salomon nicht kommen lassen. Niemand muss im Winter ohne Zuhause im Freien bleiben, verspricht er. Allerdings muss sich dafür die Stadt teilweise von ihren Plänen für die Unterbringung der Flüchtlinge verabschieden. Es kann sein, dass erstmals seit den 1990ern wieder Freiburger Sporthallen als mittel- bis längerfristige Unterkunft für die vom Land zugewiesenen Flüchtlinge herhalten müssen. Das sei zwar nur das letzte gewollte Mittel, ausschließen möchte es aber im Rathaus keiner mehr.

 

 

Freiburg sucht schnell verfügbaren Wohnraum auf dem normalen Immobilienmarkt

 

Gleichzeitig verstärkt die Stadt ihre Suche auf dem Immobilienmarkt: Händeringend sucht sie inzwischen leerstehende Wohnungen, Industrieanlagen, Hotels oder ähnliche Wohnflächen. Denn das Problem ist die Zeit: Weil nachhaltige und menschenwürdigere Massivbau-Unterkünfte normale Genehmigungsverfahren durchlaufen müssen, können sie nicht kurzfristig helfen. Parallel zu den Ausbau- und Umbauarbeiten an den bestehenden und geplanten festen Standorten werden deshalb private Flächen angemietet. Auf dem sowieso bereits angespannten Wohnungsmarkt kein leichtes Vorhaben, räumt Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach ein.

 

Dieter Salomon: Stadt sucht händeringend nach Immobilien für Flüchtlingswohnungen

 

Geplante Landeserstaufnahmestelle könnte für etwas Entspannung sorgen

 

Für eine vorübergehende Entspannung könnte erst die geplante Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge auf dem früheren Gelände der Freiburger Polizeiakademie sorgen. Salomon hofft auf eine bisher nur mündliche Zusage des Landes: Staatssekretär Klaus-Peter Murawski hatte angekündigt, dass Freiburg künftig weniger zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen soll, sobald die Landeserstaufnahmestelle ihren Betrieb voraussichtlich im Frühjahr 2017 voll aufnimmt. Trotzdem ist für die kreisfreie Stadt noch ein immenser Kraftakt notwendig, um parallel ausreichend Plätze für den immer noch steigenden Bedarf zu schaffen.

 

 

Vorhandene Wohnheime werden aus- oder umgebaut

 

So können bereits in den nächsten sechs bis acht Wochen die ersten Menschen vorübergehend in die Erstaufnahmestelle einziehen. Für rund 13 Millionen Euro wird das stark in die Jahre gekommene Wohnheim in der Hammerschmiedstraße von der Freiburger Stadtbau komplett abgerissen und mit voraussichtlich 25 Prozent Landeszuschuss massiv neu aufgebaut - rund 10 Quadratmeter Wohnraum sollen dort jedem der rund 320 Bewohner zur Verfügung stehen. Sollte es in den nächsten Jahrzehnten wieder weniger Asylbewerber geben, könnten die Wohnungen anschließend auch privat vermietet werden, so der Plan.

 

 

Dieter Salomon: Freiburg hofft auf Zusage vom Land

Rathauschefs danken für Unterstützung und guten Willen der Freiburger

 

Einen großen Hoffnungsfunken gibt es aber schon jetzt: Sowohl von Kirchbach als auch Salomon loben die Freiburger für ihre Aufnahmebereitschaft. Etliche Menschen würden sich hier in der Stadt für die von schweren Krisen gezeichneten Menschen einsetzen, ihnen ehrenamtlich im Alltag, mit der Sprache oder bei Behördengängen helfen. Gleichzeitig ließ sich bisher fast alle mögliche Skepsis bei den Anwohnern der bestehenden Flüchtlingswohnheime durch sachliche Diskussionen aus dem Weg räumen. Um den Bürger möglichst früh über die weiteren Pläne zum Ausbau des Unterkunftsangebots zu informieren, wird es daher beispielsweise auch am 15.07.2015 ein Bürgergespräch in der St. Georgener Waldorfschule geben. Alle vier Monate liefert die Verwaltung ab sofort außerdem neue Berichte über die aktuelle Versorgungslage und die damit verbundenen Kosten an den Gemeinderat.

 

Lage ernst, aber noch nicht dramatsich

 

Eine indirekte Absage erteilen Salomon und sein Sozialdezernent gleichzeitig den Menschen, die nur deshalb nach Deutschland kommen, weil sie hier auf mehr Geld hoffen. Die meisten Flüchtlinge, die sich bereits seit Jahren in Freiburg befinden, stammen aus dem Kosovo (623) und dem ehemaligen Jugoslawien (239). Die meisten von ihnen waren damals vor Krieg und Zerstörung in den 1990ern geflohen. Eine wirkliche Chance bei den Asylverfahren haben durch die veränderten Lebensumstände nur noch wenige Menschen aus diesen Ländern - anders sieht es bei Flüchtlingen aus Syrien oder Zentralafrika aus, am Ende ist aber natürlich immer das Einzelschicksal entscheidend.

 

Die Lage für Freiburg ist ernster denn je. Aber weil die Stadt bereits in den vergangenen Jahren erste Schritte eingeleitet hat, um mit den damals noch leicht ansteigenden Flüchtlingszahlen zurechtzukommen, steht sie besser da als viele andere Landkreise in Baden-Württemberg, beteuert Salomon. Dramatisch sei die Situation deshalb nicht.