Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, Fernsehansprache, Ostern, © Jesco Denzel - Bundespresseamt / dpa

Bundespräsident ruft in Fernsehansprache zu Geduld und Solidarität auf

Normalerweise wendet sich das deutsche Staatsoberhaupt nur an Weihnachten in dieser Form an die Bürger

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ruft die Menschen in Deutschland über Ostern zu Geduld, Disziplin und Solidarität in der Coronakrise auf. Wie es jetzt weitergeht, wann und wie die Einschränkungen des öffentlichen Lebens gelockert werden können, darüber entscheiden nicht allein die Politiker und Experten, sagte das deutsche Staatsoberhaupt in einer aufgezeichneten Fernsehansprache am Samstag (11.04.2020). Stattdessen hätten es nach seiner Überzeugung alle Bürger in der Hand, gerade jetzt, wenn es am schwersten fällt.

Er wünscht sich von den Deutschen, dass sie das Miteinander beibehalten, welches sie gerade während der laufenden Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus zur Schau stellen. Nach der Krise werde es eine andere Gesellschaft geben, es solle aber keine ängstliche und misstrauische werden, so Steinmeier. Er warb stattdessen für mehr Vertrauen, Rücksicht und Zuversicht. Gleichzeitig mahnt der Bundespräsident auch zu deutscher Solidarität innerhalb von Europa:

Deutschland kann nicht stark und gesund aus der Krise kommen, wenn unsere Nachbarn nicht auch stark und gesund werden. 30 Jahre nach der Deutschen Einheit, 75 Jahre nach dem Ende des Krieges sind wir Deutsche zur Solidarität in Europa nicht nur aufgerufen - wir sind dazu verpflichtet.

Kurz vor der Aufzeichnung der TV-Ansprache hatte Steinmeier noch mit Italiens Staatspräsidenten Sergio Mattarella telefoniert und ihm Deutschlands Unterstützung in der schwierigen Lage versichert. Es war bereits das dritte Telefonat zwischen beiden innerhalb der letzten Wochen. Neben Spanien und Frankreich ist in Europa vor allem Italien besonders schwer von der Covid-19-Infektionswelle betroffen.

Bundespräsident spricht von bewältigtem Kraftakt und ruft zum Durchhalten auf

«Ja, wir sind verwundbar», sagte Steinmeier über die Pandemie. Man habe vielleicht zu lange geglaubt, dass wir unverwundbar sind, dass es immer nur schneller, höher, weiter geht. Dies sei ein Irrtum gewesen. Er sei aber auch tief beeindruckt von dem Kraftakt, den unser Land in den vergangenen Wochen vollbracht hat. Steinmeier sagte: «So viele von Ihnen wachsen jetzt über sich selbst hinaus. Ich danke Ihnen dafür.»
Noch sei die Gefahr nicht gebannt, daher sei es «gut, dass der Staat jetzt kraftvoll handelt». Der Bundespräsident appellierte: «Ich bitte Sie alle auch weiterhin um Vertrauen, denn die Regierenden in Bund und Ländern wissen um ihre riesige Verantwortung.»

Das Land stehe an einer Wegscheide, so Steinmeier. Schon in der Krise zeigten sich die beiden Richtungen, die man nehmen könne: «Entweder: Jeder für sich, Ellbogen raus, hamstern und die eigenen Schäfchen ins Trockene bringen? Oder bleibt das neu erwachte Engagement für den anderen und für die Gesellschaft? Bleibt die geradezu explodierende Kreativität und Hilfsbereitschaft?» Steinmeier fragte, ob man auch nach der Krise der Kassiererin, dem Paketboten weiterhin die Wertschätzung schenke, die sie verdienten. «Erinnern wir uns auch nach der Krise noch, was unverzichtbare Arbeit - in der Pflege, in der Versorgung, in sozialen Berufen, in Kitas und Schulen - uns wirklich wert sein muss?», fragte er rhetorisch.

Coronakrise als "Prüfung der Menschlichkeit"

Der Bundespräsident rief zu weltweiter Solidarität und gemeinsamen Anstrengungen gegen die Corona-Krise auf. «Suchen wir auf der Welt gemeinsam nach dem Ausweg oder fallen wir zurück in Abschottung und Alleingänge?» Wissen und Forschung sollten geteilt werden, damit man schneller zu Impfstoff und Therapien gelange. Auch die ärmsten und verwundbarsten Länder müssten dazu Zugang haben. Die Corona-Pandemie sei kein Krieg, sagte Steinmeier. «Sondern sie ist eine Prüfung unserer Menschlichkeit», die das Schlechteste und das Beste in den Menschen hervorrufe. «Zeigen wir einander doch das Beste in uns.» Seine Ansprache schloss der Bundespräsident mit den Worten: «Frohe Ostern, alles Gute - und geben wir Acht aufeinander.»

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte nach Absprache mit Steinmeier auf ihren samstäglichen Videopodcast verzichtet. Die neun Minuten lange Fernsehansprache des Bundespräsidenten galt als außergewöhnliches Zeichen - normalweise wendet sich das Staatsoberhaupt nur zu Weihnachten in dieser Form an die Menschen. So hatte sich Bundespräsident Heinrich Lübke am 31. August 1961 zum Mauerbau in Berlin geäußert. Am 21. Juli 2005 wandte sich Bundespräsident Horst Köhler an die Bürger, nachdem er den Bundestag aufgelöst und eine Neuwahl angesetzt hatte.

dpa / (fw)

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