Der zweite Druckwasserreaktor wird heruntergefahren
Das Atomkraftwerk im elsässischen Fessenheim an der Grenze zu Südbaden wird endgültig abgeschaltet. Der zweite Druckwasserreaktor wird nach Angaben des Betreibers EDF am Montagabend (29.06.2020) ab ca. 23.30 Uhr heruntergefahren. Die Stilllegung des Kraftwerks soll dann am frühen Dienstagmorgen (30.06.2020) abgeschlossen sein. Der erste Reaktorblock in Fessenheim war schon Ende Februar 2020 vom Netz genommen worden.
Die Brennelemente der Reaktoren sollen aber noch etwa drei Jahre in Fessenheim bleiben, bis sie dann in die Wiederaufbereitungsanlage in La Hague abtransportiert werden. Atomkraftgegner kritisieren, dass die Abklingbecken in Fessenheim schlecht gesichert seien.
Das Akw galt seit Jahrzehnten als Sicherheitsrisiko
Seit Ende 1977, also schon mehr als 42 Jahre, produziert das Kernkraftwerk in Fessenheim Strom. Damit ist es das älteste noch laufende Atomkraftwerk in ganz Frankreich. In dieser Zeit hat es für zahlreiche Kontroversen zwischen Deutschland und Frankreich gesorgt. Kritikern galt das Kraftwerk am Rhein schon seit Jahrzehnten als Sicherheitsrisiko. Atomkraftgegner vor allem in Deutschland und der Schweiz hatten sich lange ohne Erfolg für ein Abschalten der beiden Reaktoren eingesetzt. Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 hatte der spätere französische Staatspräsident François Hollande die Abschaltung des Akws Fessenheim angekündigt, diese aber nie vollzogen. Das hat sein Nachfolger Emmanuel Macron jetzt nachgeholt.
Bund und Land begrüßen die Stilllegung
Das Bundesumweltministerium hat die anstehende Stilllegung begrüßt. Der Zenit der Atomkraft sei längst überschritten, sagte Umweltstaatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) der Deutschen Presse-Agentur. Die Abschaltung des Akws in Fessenheim mache auch Deutschland und die Schweiz sicherer. Das Ministerium werde sich weiter für eine Energiewende in Deutschland und Europa stark machen, sagte die Umweltstaatssekretärin.
Schwarzelühr-Sutter lobte das Engagement der Menschen im Dreiländereck. Dies habe entscheidend zur Schließung des Akws Fessenheim beigetragen. Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) sagte zur anstehenden Abschaltung:
Das ist ein guter Tag für die Menschen in Südbaden und Baden-Württemberg. Es ist aber auch ein guter Tag für die Menschen im französischen Grenzgebiet. Die ganze Region wird sicherer."
Baden-Württemberg habe sich seit Jahren dafür eingesetzt, dass Fessenheim vom Netz gehe, so Untersteller.
Region um Fessenheim soll grenzüberschreitendes Vorzeigeprojekt werden
Die Region um die Gemeinde Fessenheim im südelsässischen Département Haut-Rhin soll jetzt zu einem grünen und grenzübergreifenden Vorzeigeprojekt werden. In einem deutsch-französischen Innovationspark sollen Projekte zu nachhaltiger Energiegewinnung umgesetzt werden. Keine Zeit dürfe verloren gehen, um Projekte festzuzurren, sagt Brigitte Klinkert, die als Präsidentin des Département-Rats federführend bei der Neugestaltung der Region Fessenheim ist. Grüne Wasserstoffproduktion, Batterie-Recycling und viele weitere Projektideen lägen auf dem Tisch - die Vision ist ein deutsch-französischer Innovationspark in der Nähe der Gemeinde. Die Umgestaltung der Region ist eines der Prestigeprojekte der Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin. Nachdem Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron 2018 das Ende des Akw Fessenheim höchstpersönlich bekannt gegeben hatte, wurde das Projekt zur Neugestaltung anlässlich der Unterzeichnung des Aachener Vertrages auf eine deutsch-französische Agenda gesetzt.
Demontage des Kraftwerks dauert insgesamt 20 Jahre
Bis das Gelände des Kernkraftwerks selbst genutzt werden kann, werden aber noch Jahrzehnte vergehen. Nach Angaben des Betreibers EDF sind für die Vorbereitung der Demontage fünf Jahre veranschlagt - der Abbau dauert dann weitere 15 Jahre. Die französische Atomaufsichtsbehörde ASN hatte zuletzt Bedenken an den Plänen geäußert. Die von EDF vorgelegten Details zum Demontage-Szenario und der Entsorgung des dabei entstehenden Mülls seien unzureichend, kritisierte die Behörde. EDF hat mittlerweile nachgelegt und einen neuen Bericht übermittelt. Welche Änderungen gemacht wurden, teilte ASN zunächst nicht mit. Demnach laufe derzeit die Prüfung des Berichts.
Bahnverbindung Colmar-Freiburg und Gewerbepark sollen Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze bringen
Die Freiburger Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer setzt auch auf die geplante direkte Bahnverbindung zwischen Freiburg und Colmar als Impuls für die Grenzregion. Die Bahnstrecke über eine neue Rheinbrücke werde Wirtschaftskraft bringen, sagt Schäfer. Sie ist davon überzeugt, dass Fessenheim mit grünen Innovationsprojekten ein Vorzeigemodell werden und in Frankreich sogar zum Umdenken anregen kann.
Vor allem, indem wir deutlich machen: Das Ende eines Kernkraftwerkes ist nicht das Ende einer Region."
Der grüne Gewerbepark habe das Potenzial, mehr Arbeitsplätze zu schaffen als das Kernkraftwerk, so Schäfer.
Frankreich gilt immer noch als Atomland, will aber weitere Reaktoren stilllegen
Frankreich gilt immer noch als das "Atomland" Europas. Nach der Stilllegung Fessenheims betreibt EDF nach eigenen Angaben landesweit 56 Reaktoren. Mehr als 70 Prozent der französischen Stromproduktion kamen 2019 nach Angaben des Netzbetreibers RTE aus der Kernkraft. Hinter den USA liegt Frankreich immer noch auf Platz zwei der größten Produzenten von Atomstrom weltweit. Bis 2035 sollen aber zwölf weitere Reaktoren stillgelegt werden. Der Anteil an Atomstrom soll dann auf 50 Prozent sinken.
(dpa/rg)